Gottstreu & Gewissenruh

Die Waldensersiedlungen Gewissenruh und Gottstreu sind nicht nur aufgrund ihrer idyllischen Lage im Wesertal von Bedeutung, sondern auch wegen ihrer interessanten und einzigartigen Geschichte: Beide Dörfer wurden 1722 von Waldensern gegründet, die ihre Heimat um des evangelischen Glaubens willen verlassen mussten. Französische Gebäudeinschriften sowie französische Familiennamen weisen noch heute auf die Herkunft der Kolonisten hin.

Von Württemberg an die Weser

Im Herzogtum Württemberg gründeten die Waldenser ab 1699 unter anderem die Kolonien Perouse, Pinache, Serres sowie Klein- und Großvillars. Die Siedlungsnamen weisen auf die Herkunftsorte im Val Cluson hin. Einige Réfugiés ließen sich in Dürrmenz/Enz nieder.

1720 zogen etwa 400 Waldenser aus wirtschaftlichen Gründen in Richtung Ostpreußen fort, da das Kolonistenland in Württemberg zu gering bemessen war und keine ausreichende Lebensgrundlage bot. Bereits in Berlin wurden sie jedoch aufgrund ihrer Armut abgewiesen. Ansiedlungsprojekte in Fredericia/Dänemark und im Kurfürstentum Hannover (Winnefeld nahe Bad Karlshafen) waren ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Landgraf Carl von Hessen-Kassel nahm schließlich einen Teil dieser Brigade der Entwurzelten aus christlichem Mitleid auf und übereignete den Waldensern Randbereiche des Reinhardswaldes.

Gedenkstein Gewissenruh Gedenkstein Gottstreu
Gedenkstein Gottstreu Gedenkstein Gewissenruh

So entstanden im oberen Wesertal 1722 die "Franzosendörfer" Gottstreu und Gewissenruh. Aus der Gründungsurkunde vom August 1722 geht hervor, dass der Landgraf die beziehungsreichen Ortsnamen persönlich ausgewählt hatte. Zunächst wurden in jedem der beiden Orte 12 Waldenserfamilien angesiedelt – einige Nachzügler folgten.

Die Kolonien entstanden als Straßendörfer – innerhalb der Ortslage waren jeweils 12 Parzellen für den Hausbau vorgesehen. Einige der in Fachwerkbauweise errichteten Kolonistenhäuser aus der Zeit nach 1722 sind noch erhalten. Landwirtschaft und Waldarbeit stellten die Lebensgrundlage der Ortsgründer und ihrer Nachkommen dar.

Gewissenruh um 1900 Gottstreu um 1900
Gottstreu um 1900 Gewissenruh um 1900

In kirchlicher Hinsicht bildeten beide Siedlungen zunächst eine Gesamtgemeinde (église vaudoise). Bis 1825 war im Bereich der Gottesdienste und des Schulunterrichts die französische Sprache maßgebend.

Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart

Noch immer gelten Gottstreu und Gewissenruh bei den Nachbarn im Wesertal als "Franzosendörfer", und deren Bewohner werden als "Franzosen" bezeichnet.

Französische Familiennamen wie Bertalot, Don, Mazet, Volle, Jouvenal und Seguin erinnern an die bemerkenswerte Geschichte der Waldensersiedlungen, die seit 1971 zur Gemeinde Oberweser (Landkreis Kassel) gehören. Erhalten haben sich auch einige französische Gebäudeinschriften.

Gottstreu Gottstreu
Straße Gottstreu Straße Gottstreu

Der Verein der Waldenserfreunde hat sich zum Ziel gesetzt, die leidvolle Geschichte der Waldenser im Gottstreuer Waldensermuseum zu dokumentieren, um darauf hinzuweisen, welche Entbehrungen die Vorfahren um des Glaubens willen auf sich genommen haben. Das Wissen um die Herkunft der Waldenser möge dazu beitragen, die Strukturen der Gegenwart besser zu verstehen, um daraus Rückschlüsse für zukünftige Entwicklungen ableiten zu können.

Gegenwärtig zählt Gottstreu etwa 380 Einwohner, die Gewissenruher Dorfgemeinschaft besteht aus 90 Personen.

Ortseingang Gottstreu Ortseingang Gottstreu
Glocke Gewissenruh Glocke Gewissenruh